Oh, der Nobelpreis!

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So, wie war das nun an diesem Morgen im Oktober 1976, als Samuel Ting den Nobelpreis für Physik zuerkannt bekam? Es gab ja noch keine Smartphones, mit deren Hilfe die Mitarbeiter des Wissenschaftlers am Massachusetts Institut for Technology (MIT) in Cambridge schon von der Sensation hätten erfahren können, bevor sie überhaupt das Bett verließen.

Stattdessen fuhr David Osborne wie üblich gegen sechs Uhr morgens in das Institut, an dem sie gemeinsam das schwere Elementarteilchen J/Psi gefunden hatten. Aber was war denn das? Was machten die vielen Leute vor der Tür? Oh, das waren Reporter. Warum Reporter? Oh, der Nobelpreis!

Es wurde viel Champagner getrunken an diesem Tag, daran erinnert sich Osborne, der als technischer Mitarbeiter zu Tings Team gehörte, ganz genau. Und dann wurde erstmal ein paar Tage lang gar nicht gearbeitet. Der Nobelpreis! Sie hatten zwar gewusst, dass sie etwas besonderes herausgefunden hatten. Etwas, wonach die Wissenschaft schon ewig suchte. Aber man hat ja so viel zu tun, dass man nicht ständig auf den Kalender der Schwedischen Akademie schielt und darauf, ob sie wohl die Bedeutung dieser Arbeit erkannt hat. Und nun das!

Das niedere Volk, wie Osborne sagt, habe der Chef dann aber doch nicht zur Preisverleihung nach Stockholm mitgenommen. Dafür habe er seinem gesamten Team später Beförderungen und Gehaltserhöhungen verschafft. Auch 38 Jahre danach ist die Erinnerung an diese Zeit noch ein Spaß für Osborne.

Meine Vermieterin Judith sagt, es sei ganz typisch, hier plötzlich mit solchen Gesprächspartnern in einem Boot zu sitzen. Portland liege schließlich nah bei Boston und Cambridge. Größer wird die Wahrscheinlichkeit vermutlich noch in Cambridge selbst, wo an Harvard University und MIT die Nobelpreisträger in Rudeln herumlaufen.

Aber ehrlich, dieser nette ältere Herr, dessen Sohn Steve der Skipper auf unserer Fahrt durch die Cosco Bay war, muss wohl der sympathischste Nobelpreisträger-Mitarbeiter gewesen sein, der je vor Portland in See gestochen ist.

David

KäptnIglo

Es gibt übrigens Leute, zum Beispiel bei der New York Times, die raten von diesen Windjammer-Touren ab. Zu teuer. Zu touristisch. Lieber mit dem Postboot mitfahren, für 16 Dollar statt 39, und das An- und Ablegen an den verschiedenen Inseln verlängert den Aufenthalt auf dem Wasser sogar noch. Noch auf dem Weg zum Hafen heute Morgen dachte ich, vielleicht hätte ich auf diese Leute hören sollen.

Aber dann sah ich das angepriesene Postboot, eine ziemlich große Motorfähre, bis oben hin voll mit Fracht und Menschen. Und laut. Direkt daneben dann der 102 Jahre alte Schooner Wendameen. Und dann: Genug Wind, um den Motor kurz nach dem Ablegen auszustellen. Eine Robbe, die direkt neben uns auftaucht. An Deck sitzen, in Ruhe gucken, plaudern, schweigen, Fotos machen. David Osbornes Geschichten zuhören. Das war’s wert.

So begann mein Tag in Portland. Ich weiß, ich habe Glück.

Segel

Leuchtturm

Cosco Bay

Boot

Um halb zwei mittags waren wir wieder an Land – und um sieben Uhr abends bin ich zurück zu Judith gefahren. Wie bringt man alleine in einer fremden, nicht sehr großen Stadt fünfeinhalb Stunden dazu, fast unmerklich und ganz und gar friedlich zu vergehen? Man muss sie vertrödeln. Das heißt nicht, dass man ziellos sein sollte. Ziellos durch eine Stadt zu laufen, kann schiefgehen. Zumindest, wenn man die schönen Ecken erst noch suchen muss und darauf vertraut, dass sie schon irgendwann auftauchen werden, wenn man nur lange genug läuft. So habe ich das früher schon mal gemacht, und es war nicht gut.

Selten bin ich aber so gut vorbereitet losgezogen wie in Portland. Judith, nebenbei bemerkt eine Frau mit interessanter Geschichte – 30 Jahre ihres Lebens hat sie in Istanbul verbracht -, hatte mir auf dem Stadtplan die Viertel eingezeichnet, die ich sehen will: die mit den kleinen Geschäften, Cafés, Galerien, Bürgersteigen, Parks. Solche Sachen halt, die gut sind für Menschen.

In Portland ist das alles vorhanden und leicht zu finden. Außerdem stehen auch noch an jeder zweiten Straßenecke Musiker herum, meist Männer mit Gitarren – allerdings auch Männer ohne Musik, dafür mit Schildern, auf denen sie die Unschuld an ihrer Obdachlosigkeit beteuern und Gottes Segen wünschen. (Ich habe einem von ihnen zwei Dollar gegeben. Fünf Stunden später sah ich ihn wieder, und er sagte: „Thanks again, dear.“ Ich fand das schön.)

Vertrödeln: Alles genau angucken und ständig irgendwo einkehren. Souvenirs kaufen. Auf einer Bank sitzen und Tee aus dem Café Bard trinken, weil man einfach nicht noch mehr Kaffee trinken kann. Menschen dabei zusehen, wie sie dem jungen Singer/Songwriter an der Ecke zuhören.

Dann weiterlaufen nach Munjoy Hill, weil das hip sein soll. Dort das Duckfat entdecken und den leckersten Salat der Welt essen – Couscous mit Wildblumen! Dazu Pommes, mal wieder handgeschnitten (frage mich schon länger, warum die handgeschnittenen Pommes überall gleich aussehen?!). Dann wieder herumstromern und merken, dass Galerien heute doch nicht wichtig sind. Stattdessen: Kino.

Jawohl, mitten am Nachmittag bei schönstem Sonnenschein. Denn wo lässt sich besser abtauchen und kurz mal von den vielen Eindrücken erholen als im Kino? Schließlich geht es dort nicht um einen selbst, sondern um das Leben der anderen. In diesem Fall um das von Augustus und Hazel. Ein Film so gut für Menschen wie Cafés, Bürgersteige und Parks.

Vom Kino kein Foto, aber vom hippen Barista mit Schnurrbart (Must Have!) im Café Bard, vom Essen im Duckfat und von der Altstadt, in der das alles zu finden ist. Und schließlich nochmal zurück auf Los: das nobelpreisverdächtige Frühstück, serviert von Judith. New York Times inklusive.

Bard

Blumensalat

Portland

Portlandi

Frühstück!


Eine Antwort

  1. Judith

    Oh man, Du reist und reist und ich bin gar nicht mehr wirklich auf dem Laufenden…immerhin, diesmal war ja auch ich unterwegs: Brügge war ganz toll, reizende Mitreisende, reizende Stadt und reizendes Wetter. Vielleicht können wir nochmal skypen in den nächsten Tagen und mehr erzählen. Man, das Boot sieht toll aus!!!

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