Gerade läuft zum zweiten Mal eine Ratte die Brüstung des Dachgartens entlang. Ich glaube, sie ist auf dem Weg zum Geisterhäuschen, um sich an den Opfergaben gütlich zu tun. Diese Altäre, die wie Mini-Tempel gebaut sind, stehen hier an jedem Gebäude und an 1000 anderen Orten – auch Thailand-Anfänger wie ich können sie nicht übersehen.
Auf ihnen eine Schüssel Reis oder etwas süßen Tee zu opfern, besänftigt die Geister, die dafür auf das Haus und die Bewohner aufpassen. Wenn man die Hausgeister anruft zumindest – es gibt auch solche, die für den Garten oder die Landwirtschaft zuständig sind.
So erklärte es Ansaya, meine Gastgeberin. Wir saßen am Nachmittag gerade beim Kaffee in der Sonne, als ein junger Mann mit einem Tablett die steilen Stufen zum Dachgarten heraufkam. Nicht wundern, sagte Ansaya, der ist vom japanischen Restaurant unten, er bringt nur etwas für den Hausgeist.
Der Restaurantbesitzer lächelte uns kurz zu, räumte das Altärchen auf und stellte die neuen Opfergaben auf die Balustrade davor. Dann zündete er Räucherkerzen an und legte die Hände zu einem kurzen Gebet aneinander. Es sah anmutig und selbstverständlich aus, wie schon tausend Mal gemacht, und das war es ja auch. Eine Tradition aus vor-buddhistischer Zeit, die sich gehalten hat.
Der junge Mann und Ansaya witzelten noch über eine Schachtel Streichhölzer, die er in der Hand hielt – was genau sie sagten, erfuhr ich nicht, aber sie erzählte mir dann von der Bedeutung der Streichhölzer: Sie werden in kleinen Paketen mit Tabak zusammen gepackt und ebenfalls als Opfergabe ins Geisterhäuschen gestellt. Weil sie sich unter den Hausgeistern verstorbene Vorfahren vorstellen – alte Menschen, sagte Ansaya, die traditionell zur Zahnreinigung auf Holzstäbchen gekaut haben. Und offenbar haben sie auch geraucht.
Die Ratte ist inzwischen zum vierten Mal vorbeigelaufen, und eben trug sie ein größeres Etwas davon. Das Beweisstück: Sie räumt das Geisterhäuschen leer. Ich kann nicht sagen, dass ich mich mit Ratten besonders wohlfühle. Aber so lange sie damit beschäftigt ist, die Opfergaben einzusammeln, bin ich vermutlich sicher. Zumal ich umgezogen bin, seit sie das erste Mal auftauchte: Von der Sitzecke direkt an der Brüstung zwei Meter weiter zu einer anderen. Auf diesem Dachgarten ist Platz für uns beide.
Oh, dieses Tier ist unersättlich: fünfte Runde. Mal sehen, mit was es dieses Mal zurückkommt. Es klappert am Geisterhäuschen. Den Tabak wird sie ja wohl nicht mitnehmen? Kerzen und Räucherstäbchen lässt sie auch stehen. Ich bin zu schüchtern, um genauer hinzusehen. Es ist dunkel. Ich gehe in mein Zimmer und hoffe, dass der Hausgeist auch mich beschützt. Morgen, wenn die Ratte weg ist, lege ich ihm – nichts für ungut – eine Banane hin.
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