Peter Schjeldahl ist ein berühmter Mann. Er hat einen ausführlichen Wikipedia-Eintrag, weil er nicht nur ein Dichter, sondern außerdem noch der Kunst-Kritiker des superrenommierten Magazins The New Yorker ist. Einmal im Jahr laden er und seine Frau zu einer kleinen Gartenparty in ihr Haus in den Catskill Mountains ein.
Joe kennt Peter Schjeldahl nicht. Er erzählte uns nur, dass ein reicher Mensch aus New York jedes Jahr eine gigantische 4.-Juli-Party gebe, zu der jeder kommen könne. Ein Sixpack Bier reiche als Beitrag. Und Ben Stiller sei auch schon dort gewesen. Wir sollten hingehen, sagte Joe, als er bei Laura war, um das Dach der Veranda zu reparieren. Für mich klang das irgendwie unglaubwürdig.
Joe repariert nicht nur anderer Leute Dächer – den Sommer verbringt er in Colorado auf der Suche nach Gold. Er liebt es, den Sand zu waschen mit dem Gefühl, dass jeden Moment ein Schatz darin aufblitzen könnte. Und wenn er nicht in Colorado ist, arbeitet Joe in seinem Keller an einer revolutionären Turbine, die ihn eines Tages berühmt machen soll.
Er hat also große Träume, aber es zeigte sich, dass die sagenhafte 4.-Juli-Party ganz und gar real war: Norman und Miriam wussten, dass Peter Schjeldahl und seine Frau Brooke Alderson die Gastgeber sind. Sie haben selbst schon mehrmals deren offenbar legendäres Feuerwerk bestaunt, weil ihre Tochter mit Ms. Alderson geschäftlich zu tun hat.
Die Partys hätten klein angefangen, nur mit geladenen Gästen, erzählte Miriam. Die hätten aber Freunde mitgebracht. Und die wieder ihre Freunde. Das Fest wuchs und wuchs, bis es irgendwie jedem gehörte. Vielleicht nicht den Einheimischen hier, aber jedem der zugezogenen New Yorker, und scheinbar jedem, der am 4.-Juli-Wochenende aus New York hierher fahren möchte.
Am Samstag tummelten sich ungefähr 1500 Gäste im Garten des Kunstkritikers. Darunter Joe, Romain und ich. „C’est un rêve“, sagte Romain immer wieder: Es ist ein Traum. Er konnte es nicht fassen, und ich hatte Verständnis dafür. Ein Garten wie ein Park, hügelabwärts Richtung Fluss, voller verzwirbelter Obstbäume – und bis oben hin voll mit Menschen.
Sie saßen auf mitgebrachten Decken, wie auf einer Freibadwiese an einem sehr, sehr vollen Tag – nur ordentlich angezogen. Junge New Yorker Hipster mit Vollbart und Hut, alte Hippies in langem Gewand, Professoren in Shorts und Hemd, Kinder mit US-Flaggen am Stirnband, und sehr viele Menschen mit indifferentem Modegeschmack.
Romain spielte wie schon so oft die Mode-Polizei: Der dort, zu viele Streifen! Längsstreifen auf dem Hemd, Querstreifen am Hut, und dann noch völlig verschiedene Farben! In Frankreich käme er dafür ins Gefängnis. Joe lachte sehr darüber, nicht ahnend, dass er selbst nur knapp einer modischen Katastrophe entkommen war: Der kühlen Temperatur wegen hatte er im Auto seine Shorts noch gerade rechtzeitig gegen eine Jeans eingetauscht. Shorts zum Oberhemd! Romain hatte bereits mit einer Grusel-Gänsehaut zu kämpfen gehabt.
Er selbst erschien natürlich wie aus dem Ei gepellt. Oberhemd zu Jeans, den Pullover geschmeidig über die Schultern gelegt. Derart französisch anmutend promenierte er über das Festgelände in fortwährendem Staunen. Die beste Party seines bislang 20-jährigen Lebens.
In einem Zelt war das Essen aufgebaut, in einem anderen die Desserts, außerdem gab es eine Bar und einen ziemlich großen Grill. Alles mit handgemalten Schildern beschriftet, auch die Dixie-Klos, vor denen gegen 20 Uhr eine Rekordschlange von 150 Menschen stand. „I’m going to pee in the woods“, sagte eine vornehm aussehende Frau und verschwand im Wald.
Es gab keine Musik. Nur die Stimmen der Menschen, ein großes Dauergemurmel mit fröhlich herausperlendem Gelächter. Kaum zu glauben, dass so viele angetrunkene Menschen über so viele Stunden auf so engem Raum eine ganz und gar friedliche Atmosphäre schaffen können. Vielleicht waren sie alle high vor Begeisterung.
Sehr viele Gäste machten Fotos von der Kulisse, sehr viele Gespräche handelten von der Party. Ist das nicht fantastisch? Es wird jedes Jahr größer, kaum zu glauben. Oh, ja? Ich bin zum ersten Mal hier. Wirklich? Ja, und ich liebe es. Die Leute erschienen glücklich wie Kinder. Zum Vergleich liefen viele Kinder frei und wild durch die Landschaft.
Die Gastgeber müssen sorglose, großzügige, unternehmungslustige und sehr reiche Menschen sein. Und gut organisierte. Freiwillige Helfer, selbst Gäste, liefen herum und sammelten Müll ein, bewachten die Essens-Zelte, räumten auf und schenkten Wein in Plastikbechern aus. Mitten im Getümmel stand das Haus der Gastgeber wie eine Festung – belagert zwar, Zutritt verlangten allerdings höchstens die, die wussten, dass sie ihn gewährt bekommen würden.
Gegen zehn Uhr stiegen an verschiedenen Orten im Garten asiatische Laternen in den Himmel auf, die ersten „Ohhhhhs!“ waren zu hören. Von irgendwo wehte Gesang herüber, jemand hatte die Nationalhymne angestimmt. Nicht alle sangen mit, aber es reichte für einen ganz hübschen Chor. Dann begann das Feuerwerk. Breiter, höher, spritziger als das in Margaretville. Groß. Und laut. Das Echo der Berge vervielfachte den Lärm, vermutlich fielen altersschwache Rehe und Streifenhörnchen im Wald reihenweise tot um vor Schreck.
Als ich das Feuerwerk lobte, sagt Joe: Warte ab, das war erst die Einleitung. Und er hatte recht. Eine kurze Pause nur, dann begann der zweite Akt. Und der dritte folgte überraschend, kurz nachdem hinter uns das große Feuer angezündet worden war. Mit diesem Feuerwerk hat jemand richtig auf dicke Hose gemacht. Das einzige erkennbare Ziel: Spaß haben, herumspielen, die Menschen erfreuen. Schön. In all seiner dekadenten Pracht.
Weniger schön: Meine beiden Begleiter betranken sich vor lauter Begeisterung hemmungslos. Joe sah kein Problem darin, ich machte mir Sorgen wegen der Heimfahrt. Außerdem war mir kalt. Hier war ich nur der staunende Zuschauer, und ich hatte nun genug gesehen. Vielleicht hätte ich mittrinken sollen – aber wer hätte uns dann nach Hause gefahren?
„Wir sind auf dem Land, betrunken Auto zu fahren gehört dazu“, lallte Joe mir ins Ohr. Netterweise überließ er mir sein Auto trotzdem widerstandslos, als es endlich heimwärts ging. Romain schlief auf der siebenminütigen Fahrt glücklich ein. Und Laura bot Joe am Ende noch einen Platz auf der Couch an. Kein „drunk driving“ mehr in dieser Nacht für ihn. Er und Romain tranken stattdessen auf der Terrasse noch ein bisschen weiter.
Norman sagte heute, als ich ihn und Miriam am Nachmittag besuchte: „Wahrscheinlich hast du im Gedränge ein paar sehr reiche und sehr berühmte Leute angerempelt!“ Er lacht, wie so oft, darüber. Aber letztes Jahr war er selbst noch dort gewesen und hatte sich mit einem Mann unterhalten, der sich später als 100-facher Öl-Millionär entpuppte. So einer, der seine Familienporträts von David Hockney malen lässt. Aber das hat er Norman nicht selbst erzählt, natürlich. So viel Bescheidenheit muss sein.
Ich bin froh, dass ich Peter Schjeldahls Party gesehen habe. Auch, wenn Ben Stiller offenbar nicht da war. Aber meine Begeisterung ist eher theoretischer Art. Auf dem Jahrmarkt in Margaretville habe ich mich besser vergnügt.
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