4. Juli: Independence Day. Diesen Tag möchte ich vorsichtig in buntes Papier einwickeln und in ein Schatzkästchen legen, um ihn jederzeit hervorholen und betrachten zu können.
Frühstück in der Küche; zum ersten Mal war es zu kühl und nass für draußen. Unsere kleine WG ist innerhalb weniger Tage zu etwas Vertrautem geworden ist. Wie im Zeltlager: Dies ist eben im Moment unsere Normalität. Kaffee, Toast, den Tag planen, den Hund streicheln, mit den Katzen schimpfen, die zu viel Quatsch machen.
Dann an die Arbeit, und zwar an die neue. Laura hat festgestellt, dass ihr meine kümmerliche Hilfe im Garten weniger wichtig ist als meine Rückmeldungen und Ideen zu einem großen Text, an dem sie schreibt. Also habe ich, nach fast einer Woche Unkraut zupfen, Blumen gießen und Assistieren beim Zäunebauen, den Job gewechselt – sie schickt mir Kapitel ihrer Lebenserinnerungen, und ich sitze mit dem Computer auf der Veranda, im Wohnzimmer oder am Küchentisch und arbeite daran. Fast meine Lieblingsarbeit.
Die musste ich aber heute Mittag um kurz vor zwölf unterbrechen, denn ich war schon wieder zum Fußballgucken eingeladen, diesmal bei Norman und Miriam zu Hause. Und weil Deutschland gegen Frankreich spielte, musste Romain dabei sein. Norman hatte zuvor eine förmliche Erklärung verlangt, dass wir uns nicht streiten und nicht fluchen würden. In Wirklichkeit hoffte er natürlich darauf, dass wir genau das tun. Es hätte ihn amüsiert, aber Romain war schnell recht still.
Immerhin erfreuten ihn die schicken Polohemden der französischen Spieler. Da könnten Hans und Fritz nicht mithalten, sagte er. Und die Brezeln. Hans, Fritz und die Brezeln: Das sind die Deutschen für ihn. Ich habe so getan, als wäre mir das egal, und es zeigte sich, dass das eine gute Konflikt-Vermeidungsstrategie ist. Am Ende war sowieso Romain derjenige, der Trost brauchte.
Etwas Ablenkung bekamen wir dadurch, dass Norman zwischendurch zum weltberühmten Coney-Island-Hotdog-Wettessen umschaltete. Ich konnte nur mit halb geschlossenen Augen ertragen mitanzusehen, wie Männer in zehn Minuten 60 Hotdogs in sich hineinstopften. Norman fand, wir müssten das sehen, es gehöre schließlich zum 4. Juli. Er selbst würde am liebsten auch mal mitmachen, und er würde dann genau zwei Hotdogs essen.
Er lacht viel über seine Landsleute. Dass sie nicht besser sind im Fußball ärgert ihn so, dass er im Achtelfinale Belgien die Daumen gedrückt hat. Und er mochte es nicht, dass sein Freund Pete – der, den ich beeindrucken sollte -, vom US-Team sprach, als sei er ein Teil davon. „Wir könnten es schaffen gegen die Belgier“ und solche Sachen. Ich hab Norman erklärt, dass das dazu gehört und er Pete das Vergnügen lassen soll. Damit war der von meiner Expertise überzeugt und Norman gab Ruhe. Aber er blieb ein Belgien-Fan.
Heute nun hatte Miriam Cookies gebacken. Als Trostessen für den Verlierer. Brot und Käse und Kaffee gab es außerdem. Und so saßen wir, anstatt nach dem Spiel wieder an die Arbeit zu gehen, noch lange bei diesen beiden besonderen Menschen in der Küche. Aßen, tranken Kaffee und erzählten uns was. Sie meinten, wir würden so viel arbeiten bei Laura, dass wir bei ihnen ein bisschen entspannen sollten.
Und damit die Entspannung von unserem harten Los als Workawayer noch weiter gehen konnte, wurden wir für den Abend gleich noch für den 4.-Juli-Jahrmarkt und das große Feuerwerk gebucht. Zwei Stunden Arbeit an Lauras Text, eine halbe Stunde Gespräch mit ihr, ein kleiner Spaziergang und ein gegrillter-Lachs-Abendbrot lagen zwischen den beiden Verabredungen. Und große Müdigkeit. Aber wegen Müdigkeit kann man doch keinen Jahrmarkt sausen lassen! Schon gar nicht, wenn der Himmel plötzlich wieder blau ist.
„Let me be part of the fun“, sagte Norman und drückte mir fünf Dollar in die Hand. Da stand ich gerade an der Schlange für das Riesenrad. Das lahmste Fahrgeschäft neben dem Kinderkarussell, aber: die Aussicht! Und jetzt schenkte Lauras Nachbar mir und Romain großväterlich fünf Dollar für die Fahrkarte. Ich weiß nicht, ob es daran lag, oder an den vielen Lichtern, am Popcorn-Geruch oder am Sommerabendhimmel: Es war toll, Riesenrad zu fahren. Und dann herumzulaufen, Leute anzugucken, zu merken, dass auch hier junge Männer zum Mitreisen gesucht werden, frittiertes Zeug zu essen, Lichter blinken zu sehen und am Ende das große Feuerwerk zu bewundern.
Norman und Miriam waren schon ermattet nach Hause gefahren, aber Lauras Mann Robert stand uns noch zur Seite. Es sei seine Pflicht als Amerikaner, seinen ausländischen Gästen das alles zu zeigen, sagte er nicht ganz ernst. Ohne uns wäre er gar nicht erst losgefahren. Aber dann stand er genau so wie wir da und bestaunte das Feuerwerk von Margaretville mit viel ah! und oh!
Und jetzt: ab ins Schatzkästchen damit.
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