14 Stunden und 25 Minuten

Avatar von Frl. Grankvist

Wer sich im Alltag überlastet fühlt, nicht zur Ruhe kommt und mal ein bisschen Zeit für sich selbst braucht, der sollte eine Zugfahrt von Bangkok nach Chiang Mai in Erwägung ziehen. Sicher ist der Aufwand recht groß, aber er lohnt sich. Wo sonst bekommt man ein kleines Zimmer für sich allein und eine große Menge Zeit, die man kaum mit etwas anderem als dem Warten verbringen kann? 795 Baht, etwa 20 Euro, für diesen Meditationsraum erster Güte.

Mir war die Zugfahrt in der zweiten Klasse empfohlen worden, da man dort so schön auf Einheimische träfe, und zwar auf solche, die nicht auf Geschäfte mit Touristen aus seien, sondern ebenso wie diese einfach nur von einem Ort zum nächsten wollten. Natürlich traf ich in Wagen No. 5 insgesamt auf genau drei Einheimische und 55 andere Touristen. Umgeben von in Gruppen auftretenden Holländern, Australiern und Franzosen, die sich selbst genug waren, änderte ich also unauffällig mein Programm: Jetzt wollte ich vor allem die gemütliche Kajüte genießen, meinen Rückzugsraum. Hier fanden sogar die 13 Bananen Platz.

zugII

Gegen 21 Uhr kam der Schaffner und baute die Betten. Während er das tat, machte ich mich im eigens mitgeführten Waschraum bettfein, danach kletterte ich in die obere Koje, zog den Vorhang zu, streckte mich lang aus und lag einfach nur da. Der Zug bewegte sich gemächlich, aber zielstrebig durch die Dunkelheit. Er machte altmodische Zuggeräusche, rattatatarattatatarattatata.

ZugIII

Es roch nach Diesel, dann wieder nach Holzfeuer, dann wieder nach Wald. Sogar die Holländer gaben irgendwann Ruhe. Und ich begriff, dass ich mal wieder ein Loch im Raum-Zeit-Kontinuum gefunden hatte. Plötzlich war alles egal. Ich lag und ließ die Gedanken laufen – ist es nicht das, was sie einem beim Yoga immer erzählen? Dann schlief ich ein, umhüllt von Düften und dem Sound des Zuges. Ich wachte wieder auf, blieb aber einfach liegen – was sollte ich sonst tun? Ich hätte, zumindest auf Teilen der Strecke, teure SMS schreiben können. Aber das war auch alles, und ich hab es einfach gelassen. Dann schlief ich wieder ein.

Die Toiletten waren ein Loch im Boden hinter dem Waschraum, es war erstaunlich, wie wenig mir das ausmachte. Plötzlich auftretende enorme Gelassenheit. Die immerhin anhielt, bis ich am Morgen ein neues T-Shirt aus meinem Koffer holen wollte und einfach nicht so weit kam. Alle zehn Sekunden wollte jemand anderes vorbei: Die Frau, die laut rufend „Coffee, Orange Juice“ anbot, der Schaffner, ein müder Holländer auf dem Weg zum Klo. Ich musste meinen geöffneten Koffer wieder und wieder schließen, um Platz zu machen. Da war sie plötzlich wieder: die Welt. Ich gab auf, setzte mich auf einen freien Platz und sah aus dem Fenster. Draußen war alles grün. Berge, Wiesen, Wald. Und dann fuhren wir in Chiang Mai ein, pünktlich auf die Minute, nach 14 Stunden und 25 Minuten.

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