Dass ich bei Ansaya gelandet bin, ist ein großes Glück. Sie behandelt mich nicht wie eine Touristin, sondern wie ihren persönlichen Gast. Ich bin ihr einziger Gast in dieser Woche, wir sind ungefähr gleich alt und haben uns viel zu erzählen. Außerdem macht sie mir täglich Frühstück, hat mir ein thailändisches Handy geliehen, damit ich nicht verloren gehe, und mich mit zu ihren Freunden genommen, in ihre kleine Kneipe „Living Room“.
Dort habe ich am Sonntag auch P’Nhong getroffen. Das P steht für „Bruder“. Ansaya nennt ihn Bruder, eine Wahlverwandtschaft. Diese kleine Homestay-Pension ist ihr gemeinsames Projekt, er hat unter anderem den offenen Raum zwischen den Zimmern überdacht, ein Podest auf dem Dachgarten gebaut und viele der Möbel. Heute will er einen Boiler installieren – vielleicht kann ich vor meiner Abreise sogar noch heiß duschen! Bruder Nhong hat einen „Atomkraft? Nein, Danke“-Anstecker an der Mütze. Nicht von ungefähr: Er hat 20 Jahre in Deutschland gelebt. Und spricht Deutsch mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit.
„Ich nehme euch mit in ein sehr gutes Restaurant. Familienbetrieb“, sagte er zu mir, als ich eigentlich nur auf einen Kaffee zu Ansaya, Toa und Fern ins „Living Room“ rübergelaufen war. Er fuhr mit dem Fahrrad voraus, Ansaya und ich mit dem Tuktuk hinterher. Dann saßen wir an einem Tisch mit Blick auf den Fluss, hinter uns die überdachte Terrasse – auch sie von P’Nhong gebaut. Ein Mitglied der Restaurantfamilie nach dem anderen kam zum Tisch und begrüßte ihn. „Die sind sehr gut, aber langsam“, hatte er vorher gesagt, „aber wir haben ja Zeit“.
Ja, wir haben Zeit. Wir sitzen da, Gespräche laufen über Kreuz auf Deutsch, Englisch und Thai (wobei Bruder Nhong der einzige ist, der alles drei spricht). Am Ende bin ich so froh über den Abend, dass ich die beiden einlade. Ansaya zahlt dafür das Tuktuk nach Hause.
Am nächsten Morgen werde ich vom Gast zur Touristin. Um halb neun stehe ich gestiefelt und gespornt, also mit festem Schuhwerk und Insektenspray im Gepäck, vor dem Santitham Tempel. Panda Tours soll auf dem Bus stehen, der mich abholt, und da kommt er auch schon: vorne ein richtiger kleiner Bus und hinten offen mit zwei Sitzbänken rechts und links. Die Sitzbänke voller Engländer, die halb so alt sind wie ich. Es gibt Chips zum Frühstück, und sie heißen mich freundlich willkommen.
Panda Tours hatte versprochen, uns abseits der ausgetretenen Touristenpfade durch den Dschungel im Landkreis Mae Taeng zu bringen. Aber so etwas wie ein Abseits dieser Pfade gibt es nur, wo es keine organisierten Touristen-Ausflüge gibt. Und obwohl das klar und in Ordnung ist, mag ich das Gefühl, als einer unter vielen durch die Gegend gekarrt zu werden, doch nicht so recht. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Thais, die mit uns beschäftigt sind, heimlich gelangweilt sind und über uns lachen. Ich weiß, dass dies zumindest Ansayas Freunde tun. Toa hatte gesagt: It’s only show.
Vor der Fledermaus-Höhle setzt sich unser Guide Jiaku erst einmal hin und telefoniert (Handyempfang im Dschungel? Wie weit waren wir gegangen?), während er uns nebenbei eine Richtung anzeigt und nur „Cave“ ruft. Andererseits erzählt er uns bei jeder Trink-Pause auf unserer Wanderung sehr engagiert von der politischen Situation im Land und wirbt außergewöhnlich deutlich für den Buddhismus. Er gehe tiefer als alle anderen Religionen, sagt er. Und er sagt auch, dass Religion ein sensibles Thema sei und sich niemand darüber lustig machen dürfe. Eine verwirrende Mischung aus Engagement und Gleichgültigkeit.
Ich gerate während unserer Wanderung durch den Wald selbst recht bald in eine religiöse Stimmung. Auf der Suche nach Halt und Trost, weil die Steigung nicht aufhören will, der Abhang so tief ist und der Boden so rutschig. „Four hours walking“ hatte ich gebucht, es ist eher klettern als wandern, ein bisschen mehr Fitnesstraining vorher wäre gut gewesen. Ich hätte das wissen können, wollte aber lieber so tun, als gäbe es kein Problem. Und so gesehen hatte ich recht: Ohne die kichernden Engländer um mich herum, ohne die lebensgefährliche Fahrt im offenen Minibus und ohne die körperliche Herausforderung hätte ich diese Landschaft – die erhaben bleibt, auch wenn die Felder voller Chinakohl stehen – nicht erleben können.
Wenig erhaben ist dann wiederum das Gefühl, in einer großen Gruppe durch ein Dorf des Bergvolkes Lahu zu trotten. Mit Übersetzer und einem versuchten Gespräch wäre es vielleicht ein netter Besuch, aber so hatte es für alle Beteiligten etwas Unwürdiges. Vor Verlegenheit kaufe ich der „Buy Souvenir, Honey!“-rufenden Lahu-Frau ein Perlenarmband ab, das ich im übrigen wirklich schön finde. Woher die Perlen seien, gestikuliere ich. Sie nimmt mich mit hinter den überdachten Sitzplatz, auf dem sich die Bewohner für die Touristen versammelt haben, und zeigt es mir:
Das ist der einzige Moment in ihrem Dorf, in dem ich mich nicht unwohl fühle. Und schon ruft Jiaku zum Weitermarsch. „Continue, continue!“ Am Ende dieses Tages stolpere ich so müde wie nie zuvor aus dem Bus und nach Hause zu Ansaya. P’Nhong ist auch wieder bei ihr, sie haben den ganzen Tag weiter an der Renovierung des alten Hauses gearbeitet, um Platz für mehr Gäste zu schaffen. Sie lachen, als sie mein ermattetes Gesicht sehen. Wir haben uns alle verausgabt an diesem Tag, sie mit harter Arbeit, ich bei meinem Dschungel-Abenteuer. „Setz dich“, sagt P’Nhong, „ich hab für uns gekocht“.
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