Sind zweieinhalb Kilo Bücher zuviel? Ich habe außerdem ein paar Sommerkleider gewogen – vier Hauche von Nichts -, zu meiner Überraschung wiegen sie zusammen fast ein Kilo. Drei Paar leichteste Sommerschuhe: nochmal 800 Gramm. Wo soll das hinführen?
Meine Erfahrung sagt mir, dass ich dazu neige, zuviel einzupacken. Ich lese nie alle Bücher, die ich auf eine Reise mitnehme. Das geht schon im Zug los: Meist habe ich gar nicht das Bedürfnis zu lesen, wenn ich so reisend dasitze. Auf eine bestimmte Reise-Weise lese ich zwar schon, aber keine Bücher. Stattdessen Landschaften, Häuseransammlungen, Wolken, Menschen neben mir, Gespräche, Frisuren, das, was auf der Titelseite der Zeitung des Reisenden gegenübersteht. Und meine Gedanken. Da läuft unterwegs meist so einiges auf. Als Folge des generellen Lektürezustandes.
Also, wenn man es so betrachtet, sind zweieinhalb Kilo Bücher vielleicht übertrieben. Allerdings: Sechs Wochen. Möglicherweise regnet es in Maine sieben Tage am Stück. Und möglicherweise sind die Hippies doch nicht so gesellig, wie ich es mir vorstelle, und dann sitze ich da in meiner Ukulele-Hütte und habe am Ende nicht genug zu lesen dabei. Und welches Buch sollte ich überhaupt vom Stapel runternehmen?
Zweimal New-York-Literatur, Geburtstagsgeschenke aufmerksamer Freunde: klare Sache. Stanisic hatte ich mir extra aufgespart und mich schon lange drauf gefreut: muss mit. Reiseführer: Ja. Will Tagesausflüge auf konservative Art planen. Unterhaltungsroman mit froher Botschaft: Ja, fürs Warten am Flughafen, wenn ich vergessen will, wo ich gerade bin. Wawerzinek: Heute überraschend geschenkt bekommen, wollte ich schon lange lesen, wichtiges Gegengewicht zum Unterhaltungsroman. Also keine Chance auf Minimierung in diesem Gepäck-Sektor.
Wer meint, ein E-Book würde helfen, dem sei gesagt, dass ich die Kafka-Gesamtausgabe und einiges von Stefan Zweig auf meinem Handy gespeichert habe – der Platz bleibt im Koffer also schon mal frei.
Und außerdem ist die Buchfrage nur ein Symptom. Es geht um mehr, vielleicht sogar mal wieder um alles. Warum fällt es so schwer, mit leichtem Gepäck zu reisen? Es gibt viele Fragen, die einfacher zu beantworten sind. Zum Beispiel die, wie man korrekt eine amerikanische Fußgängerampel überquert. Sehen Sie selbst:
Einen winzigen Eindruck davon, wie angenehm das Reisen ohne Gepäck wäre, bekomme ich übrigens jedes Mal, wenn ich zu Fuß in unsere kleinen Stadt gehe. Ich betrete Läden und Cafés, verlasse sie wieder und setze meinen Weg fort, ohne ein einziges Mal innehalten und mein Fahrrad entweder an- oder wieder aufschließen zu müssen. Und ohne es dann von Ort zu Ort durch die Fußgängerzone schieben zu müssen oder später vergessen zu haben, wo ich es eigentlich abgestellt hatte. Ohne Fahrrad ist ein Besuch in der Stadt ein viel leichteres, freieres Unterfangen. Man tritt aus einer Ladentür und geht los. Freiheit!
Und genau so würde ich gerne am Sonntag nach Amerika fliegen. Aus meiner Haustür raus und losgehen. Stattdessen mache ich schon seit Tagen Listen von Dingen, die ich noch brauche. Was sich da so alles ansammelt: Ein neues Steckdosenadapterdings, diesmal aber eins, in das auch der Macstecker passt. Die Lippencreme, die es nur hier gibt (bestimmt). Computerschutzhülle. Sonnenmilch. Ich besorge, ich räume hin und her, ich lege zurecht. Ready for Departure: Elektronische Dinger und ihre Ladegeräte. Kabelsalat neben Bücherstapel. Mitbringselstapel neben Füllerpatronen neben Meerwassernasenspray.
Wäre ich gerne anders? Vielleicht. Vielleicht wie jemand, der insgesamt höchstens vier Kilo Dinge in einen Rucksack stopft, darunter eine Dünndruck-Bibelausgabe als eine für alle Regentage der Welt ausreichende Lektüre. Jemand, der sagt: Mehr brauch ich nicht. Oder: Den Rest kaufe ich, wenn ich es brauche. Es ist bestimmt angenehm, so denken zu können.
Es wäre auch praktisch, wenn es das Internet nicht gäbe. Dann bräuchte ich zwar vielleicht eine kleine Reiseschreibmaschine, denn schreiben würde ich natürlich trotzdem. Aber Computer und Smartphone könnten samt ihrer Hüllen und Kabel hierbleiben. In einer Welt ohne Internet fände diese Reise allerdings womöglich in den 1920er Jahren statt, so stelle ich es mir jedenfalls gerade vor – das kommt von dem Wort „Reiseschreibmaschine“. Und dann wäre ich womöglich eine Frau auf dem Weg in ein neues Leben, die auf ihrer Schiffspassage über den Atlantik drei Schrankkoffer voll mit dem gesamten Hausstand in ihrer Kabine stehen hätte.
Und wenn ich in New York angekommen wäre, würde ich gleich nach Hause telegraphieren: Angekommen STOP Gefällt mir STOP Denke ich werde hierbleiben STOP Bitte schickt Geld STOP
PS: Finde den Fehler in diesem Bild.
PPS: Gerade fällt mir ein, dass mir heute Nachmittag jemand, der es selbst ausprobiert hat, John Kerouac als unverzichtbare Lektüre für diese Art von Reise empfohlen hat. Mist. Kerouac kommt noch oben auf den Stapel. Oder zu Kafka ins Handy.
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