Bevor Laura heute in Richtung New York abfuhr, um Romain, Camille und Léa die Stadt zu zeigen und die zweite Katze von zu Hause zu holen, sprach sie noch ihren Nachbarn auf den Anrufbeantworter: Gast allein zu Haus, bitte kümmert euch.
Um kurz nach vier Uhr heute Nachmittag – also 22 Uhr in Deutschland – kam mit rasanter Fahrt ein Auto auf den Hof gefahren. Norman stieg aus, sah mich mit dem Hund auf der Veranda sitzen und gestikulierte wild: Komm schnell, rief er, das Spiel hat gerade angefangen!
Eine Minuter später war der arme Hund allein zu Haus und ich saß mit Norman vor seinem großen Fernseher. Seine Frau Miriam kam dazu, lächelte mich an und sagte: Ich möchte gerne, dass du zum Essen bleibst. Laura hatte angedeutet, dass sie das möglicherweise tun würde. Trotzdem war es wie ein Geschenk an diesem Tag, an dem mir die ganze Verantwortung für Haus, Hof, Hund, Katze und Schnecken im Salatbeet übertragen worden war. Jetzt zeigte sich: Es war alles halb so wild.
Erstens fand ich keine Schnecken, die ich hätte anfassen und entfernen und/oder töten müssen, und zweitens saß ich nun bei diesen netten Leuten, die angeblich 90 Jahre alt sein sollen, und durfte mich beim Fußballgucken schon auf das Essen freuen.
Norman hat gerade angefangen, sich für Fußball zu interessieren. Das heißt, er weiß im Prinzip, wie es funktioniert und guckt gerne zu, aber es reißt ihn noch nicht so richtig mit. Und Kleinigkeiten wie die Tatsache, dass eine Verlängerung zwei Mal 15 Minuten dauert, können ihn schon noch überraschen.
Umso unterhaltsamer fand er es, dass ich immer wieder irgendwelche Laute von mir gab und manchmal auch Kommentare. Ich sagte: Guck Dir das an, der weiß überhaupt nicht, wen er anspielen soll. Er sagte: Oh, Du hast ja wirklich Ahnung! Eine Frage der Perspektive.
Irgendwann setzte sich Miriam zu uns. Ich machte Oh neiiin!, als eine Schweinsteiger-Aktion direkt vorm Tor harmlos verpuffte. Sie sagte cool: Naja, er hat ja nun wirklich direkt dem Torwart in die Arme geschossen. Kein Grund zur Aufregung also.
Mein Jubel beim 1:0 verpuffte auch ganz harmlos – allzu großes Herumgeturne passte irgendwie nicht in dieses Fernsehzimmer. Außerdem taten mir die Algerier leid. Aber es war ein gutes Spiel, um Norman mehr vom dramatischen und gar tragischen Potenzial des Ganzen zu zeigen.
Was ihn vor allem überzeugt hat, waren meine Anteilnahme und, ähm, Expertise. Deshalb bin ich auch schon für das Spiel Belgien-USA mit ihm verabredet. Er will mich mitnehmen zu einem Freund, der 35 Jahre lang Amateur-Fußballtrainer war. Fast hätte er dem am Telefon erzählt, ich spielte in der deutschen Frauen-Fußball-Nationalmannschaft. Nur der Gedanke, dieser Fußball-Freund könnte verlangen, dass ich ihm etwas vordribbele, hat ihn davon abgehalten.
Trotzdem lautet nun mein Auftrag für das Spiel, möglichst dick aufzutragen und die Kommentare des Freundes großspurig mit noch viel cooleren Kommentaren abzutun. Kurz: Ich soll alles besser wissen. Norman freut sich schon sehr darauf – endlich mal jemand, der diesem Freund in seinem Fußballwissen standhalten kann.
Vielleicht also verständlich, dass ich unter ziemlichem Leistungsdruck stehe. Mein Plan ist es, möglichst viele Fußballphrasen noch schnell ins Englische zu übersetzen. Und dann aber los: A goal would do the match good. Is the referee blind? Oh, what a hammerpass! But they really need to play more over the wings.
Ach, das wird schön.
PS: Das Foto ist nicht von heute. Aber Norman ist darauf zu sehen, im Gespräch mit Laura.
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