Ich war fünf Minuten zu früh. Das war gut, denn so einen entscheidenden Moment sollte man nicht außer Atem beginnen. Es ist besser, sich gesammelt zu haben und ruhig zu sein, wenn es drauf ankommt. Und jetzt kam es drauf an. Es würde in fünf Minuten ein Leben davor und eins danach geben. Ich würde es getan haben. Das war aufregend.
Ich ließ auf der Toilette kaltes Wasser über meine Handgelenke laufen. Es war heiß draußen, ich war durch die Hitze mit dem Fahrrad gefahren, kaltes Wasser war schön. Mir fiel ein, was ich vor Kurzem erst erfahren hatte: dass es auf jeder Etage nur eine Toilette für Frauen, aber zwei für Männer gab. Als dieses Gebäude gebaut wurde, so vor 15 Jahren vielleicht, waren Frauen hier eine Seltenheit. Man rechnete nicht mit ihnen.
Ich sah in den Spiegel. Die fünf Minuten waren um. Sammeln. Rausgehen. Lächeln. Guten Morgen, Fräulein Grankvist! Guten Morgen, Chef. Gehen Sie doch schon mal vor, ich komme sofort. Jawohl, Chef. Ich setzte mich mit dem Rücken zum Fenster, die Tür im Blick. Da kam er. Lächelte, gab mir die Hand, setzte sich mir gegenüber. Was kann ich für Sie tun?, fragte er.
Ich sagte, was ich mir vorgenommen hatte zu sagen. Mir ist klar geworden, sagte ich, dass ich so nicht weitermachen möchte. Er sah mich abwartend an. Setzte die Hand, die den Kugelschreiber hielt, aufs Papier. Wenn ich Änderungswünsche aufgezählt hätte, hätte er sie notiert? Ich sagte: Und deshalb werde ich gehen. Er sah mich weiter an, keine Reaktion. Ich sagte: Also, ganz. Weg von hier. Und da war er endlich, der Ausdruck der Erkenntnis, der mir verriet, dass meine Botschaft angekommen war. Der Drops war gelutscht, die Messe gelesen, der Job gekündigt. Und ich lebte immer noch.
Aber Fräulein Grankvist!, sagte er.
Ich glaube nicht, dass er damit gerechnet hatte. Obwohl er wusste, dass ich unzufrieden war. Er wird vermutlich nicht daran gedacht haben, dass ich es wagen könnte, einfach so zu gehen. Ich kann es ihm nicht verdenken. Sehr, sehr lange konnte ich mir selbst nicht vorstellen, dass das überhaupt möglich wäre. Aber nun konnte ich es plötzlich doch. Wie kam es, dass sich derselbe Gedanke immer unmöglich anfühlte und dann nicht mehr? Die Zeit war reif, so sieht es aus. Die nötigen Dinge kamen zusammen, die vorher nicht zusammen gekommen waren.
Ich konnte es unter anderem daran erkennen, dass sich die Lebensweisheiten meines Tees nicht mehr wie durchgenudelte Paolo-Coelho-Zitate anhörten, sondern wie die reine Wahrheit. Lebensweisheiten fühlen sich erst dann wahr an, wenn man die Erfahrung, um die es in ihnen geht, selbst macht. Bis dahin: zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus.
Ich sammle jetzt Erfahrungen darin, was passiert, wenn ich meinem Herzen folge. Vielleicht klappt es dann auch mit dem Optimismus? Mein Lieblings-Teebeutel-Ratschlag ist aber ein anderer, zur Erinnerung habe ich ihn auf die Bestenliste an mein Küchenregal geklebt. Und diesen Beitrag damit überschrieben. Ich habe mein Gesicht für heute bereits informiert, jetzt kann ich Kaffeetrinken gehen.
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