Ich bin in eine Männer-WG gezogen. Sogar die Handseife am Waschbecken riecht männlich. Die Klobrille steht hochgeklappt. Mein geblümtes Kulturbeutelchen sieht in diesem Bad aus wie ein Einrichtungsfehler. Aber mein Bett im Jungs-Zimmer ist ordentlich gemacht, und auf der Decke liegen zwei Handtücher für mich, schön gefaltet. Ich sage: Hallo? Niemand antwortet. Meine unbekannten Mitbewohner halten sich an unbekannten Orten auf. Ich mache mir ein Bild von ihnen anhand ihrer Wohnung. Reingekommen bin ich ganz allein, per Türcode. Den hatte Mike mir vorher gemailt.
Mike ist mein Airbnb-Gastgeber. Ich lerne ihn abends um elf kennen, als ich vom Essen zurück in seine Wohnung komme. Er sitzt auf dem Sofa, den Laptop auf dem Schoß. Im Fernsehen läuft Sport: Cricket. Lustig, denn Mike ist Amerikaner, eigentlich müsste Cricket ihm egal sein. Andererseits wollte er unbedingt raus aus seinem Land. Er sagt, es gefalle ihm dort im Moment nicht. Auf Reisen verliebte er sich in eine Neuseeländerin – so kam er nach Wellington. Sein Zukunftstraum ist es außerdem, einmal ein Jahr in Deutschland zu verbringen.
Und das sagt er eindeutig nicht nur, um mir zu schmeicheln, denn dafür weiß er einfach zu viel. Städtenamen wie Duisburg (ist er mal mit dem Zug durchgefahren) und Hannover, Personennamen wie Erich Honecker und Erich Maria Remarque (ich muss noch nach Erich Mielke und Erich Kästner fragen, vielleicht liegt es an den Vornamen) und die Besonderheiten des deutschen Alphabets (ß,ü,ä,ö) sind ihm keine Unbekannten.
Mike war schon in Berlin und möchte gerne wieder hin, aber weil er Deutschland mit dem Begriff „cosy“, also „gemütlich“ oder „anheimelnd“ verbindet, habe ich ihm sofort Tübingen, Bamberg und Marburg als zwingende Zusatzreiseziele auf die Liste geschrieben. Allein die Bilder bei Wikipedia haben ihn seufzen lassen. Der Mann ist reif für eine Deutschlandreise.
Vorerst ist er nur bis zum Sofa im Wohnzimmer gekommen, wo er schläft, während ich – zum Preis von 25 Euro pro Nacht – sein Zimmer bewohne. Das ist bisher meine am wenigsten touristische Airbnb-Erfahrung: Ich bin mitten im normalen Leben gelandet. In diesem Zimmer hängen keine anonymen Aquarelle, die nur aufgehängt wurden, weil es sich in ordentlichen Gästezimmern so gehört. Und die Schränke sind auch nicht leer. Ein Wimpel von der Uni Washington prangt überm Bett, ein nicht ganz aufgeräumtes Regal und ein realexistierender Schreibtisch bilden die natürliche Umgebung meines kleinen Wellington-Aufenthaltes. Ich find’s herrlich. Und es ist ein Zimmer mit Aussicht. Die coolste kleine Hauptstadt der Welt, so bezeichnet sich Wellington selbst. Das kommt mir nicht ganz abwegig vor.
Mein Gastgeber liegt noch auf seinem Sofa, als ich aus der Wohnung gehe, um mir unten auf der Cuba Street einen Ort zum Frühstücken zu suchen. Und während ich da sitze, im Café Olive, denke ich: Was ist anders als sonst? Dann verstehe ich, dass es nicht anders ist, sondern im Gegenteil wieder normal. Für mich. Eine kleine Straße voller Cafés und schöner Läden, durchwachsenes Wetter, das nach langen Hosen und richtigen Schuhen verlangt, überall sind Menschen unterwegs: Vielleicht ist das meine natürliche Umgebung. Zumindest habe ich mich heute und hier am wenigsten exotisch von allen Orten auf meiner Reise gefühlt. Das ist nach einem Monat unterwegs mal ganz schön, auch, wenn ich nicht danach gesucht habe.
Aber wenn es nun schon mal so ist, muss ich es auch ausnutzen. Und deshalb habe ich rein gar nichts besichtigt, sondern nur Kaffee getrunken, in Galerien und Schnickschnackläden rumgeguckt und außerdem ein paar Sommerklamotten gekauft (es herrschte Mangel im Koffer), aber second hand, wie sie es in Neuseeland überall gerne machen.
Später bin ich dann mit Mike noch zum Supermarkt gegangen – er musste sowieso hin und bot an, mir den Weg zu zeigen. Dabei erfuhr ich: Er ist Psychologe. Und arbeitet vor allem nach Viktor Frankls Methode der Existenzanalyse. Superschön, mit seinem 48-Stunden-Mitbewohner durch Wellington zu trotten und über Psychologie zu reden. Wir kamen dann von einem übers andere auch zu der Erkenntnis, dass wir beide bloggen. Und zwar beide, ohne uns auf ein anderes Thema als das Leben selbst festlegen zu wollen. Bei ihm heißt das „Leben, Freiheit und das Streben nach Großartigkeit“. Schön, oder? Angucken!
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