Die Meisenkinder sind geschlüpft. Anderthalb Meter von mir entfernt, auf der anderen Seite des Fensters, liegen sie in ihrem kleinen Holzkästchen und warten auf Futter. Sie müssen winzig sein, aber sie sind groß genug, um in den höchsten Tönen zu piepsen. Das war mein Begrüßungslied, gestern, als ich vom letzten Umzugs-Akt in unserer kleinen Stadt zurückkam nach Berlin. Piep piep piep piep. Die Meiseneltern sind voll im Stress, sie fliegen non-stop ein und aus. Dagegen ist mein Leben ein langer, ruhiger Fluss.
Mit einem irgendwie doch noch guten Teppich unterm Arm und dem restlichen Essbesteck, einem vergessenen Topfdeckel, dem 20 Jahre alten Anrufbeantworter, ähnlich alten Laufschuhen und ein paar irgendwie doch noch interessanten Büchern im Rucksack bin ich nun also quer durchs Land gereist. Was sich eben noch so findet in einer Wohnung, die eigentlich schon leer geräumt ist.
Tagelang haben Leute Möbel rausgetragen. Möbel, die Freunde aus Platzmangel bei mir untergestellt hatten (sie mussten nun anderswo Raum dafür finden), IKEA-Zeug, aus dem ich rausgewachsen bin; außerdem überflüssig gewordene Dinge (sogar nicht IKEA), die ich einst geschenkt bekommen hatte, weil sie andernorts nicht mehr gebraucht wurden.
Deshalb sage ich: Obacht beim Anmieten von außergewöhnlich großen Wohnungen. Es sammelt sich schnell ein ganzer Möbelwald an. Ich hatte drei Sofas, zwei Sessel, zwei Betten, zwei Couchtische, zwei Schreibtische, zwei Esstische, elf Stühle. Und dazu noch reichlich Zeug in nur einfacher Ausführung. Es wurde ein großes Verteil-Fest unter Beteiligung von Familie, Freunden und Nachbarn.
Jetzt hab ich von allem noch soviel, wie ein normaler Mensch benötigt. Glaub ich. Ich habe mich jedenfalls sogar von Piotr getrennt, dem wahnsinnigen Riesenhund, der in mein Leben kam, wie solche Tiere es nun einmal tun. Und jetzt war es Zeit zum Abschiednehmen. Hier unser Abschiedsfoto:
Es ist mit Selbstauslöser fotografiert. Zu sehen ist vor allem, dass ich in all den Jahren in dieser meiner geliebten Wohnung nie den Fußboden meiner Träume verlegt habe. Man gewöhnt sich schnell an graues Linoleum, wenn man handwerklich nicht herausragend begabt ist.
Was mit Piotr passiert ist? Keine Sorge: Der Hund, der nach dem Fußballer Piotr Trochowski benannt wurde (das kann ich nicht begründen), hat ein neues Zuhause gefunden. Dort soll ihm sogar der offene Arm wieder zugenäht werden. Er wird es gut haben.
Es gab aber auch Angesammeltes, das ich den Gefahren der Straße ausgesetzt habe. Hatte ich noch nie gemacht: einen Karton voller Bücher und CDs vors Haus gestellt, zur Selbstbedienung. Ich weiß nicht, wieso ich das so aufregend fand. Man lässt die Passanten per Mitnahmeaktivität über die Coolness (und das Gegenteil) der eigenen Vergangenheit abstimmen – vielleicht deshalb? Leider habe ich versäumt, den Start-Status zu fotografieren. Aber nach einer Stunde sah der vormals volle Karton so aus:
Warum lag das schöne Tchibo-Set aus Schauspiel- Opern- und Konzertführer in der Ausgabe von etwa 1987 noch da? Und der echt dicke Schinken „Das Phänomen Harry Potter“ nicht mehr? Auch der ganz gute Roman „Die Stadt der Verlierer“ von Johnny Depps Bruder Daniel war weg. Und das Rainbirds-Debüt-Album (Vinyl).
In der ersten Runde verschmäht: Umberto Ecos Erkenntnisse darüber, wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt, und der fröhliche Knigge für junge Leute. Dabei steckt in diesen Büchern so viel gesammeltes Menschheitswissen! Auch ein Rätsel: wie das kleine grüne Büchlein über Hochzeitsbräuche überhaupt in meinen Besitz gekommen ist. Kann mich nicht erinnern. Es war weg, als ich das nächste mal nachschaute.
Während Judy Galant und ich dann abends im Kino waren, fing es an zu regnen, und danach war überraschender Weise der ganze Karton weg. Vermutlich gerettet von einem Buchliebhaber, der es nicht ertragen konnte, dass überhaupt irgendeinem gedruckten Werk eine Seite durchnässt wird. Mit dem Karton hat dieser Mensch auch die auf Vinyl gepressten Heimatlieder aus Papenburg an sich genommen, gesungen von einschlägigen Männergesangvereinen. Eine gute Tat.
Ich versuche, mich zum Ende hin doch noch kurz zu fassen: Ab zur Mülldeponie mit dem unverschenkbaren Rest, ein erfreuter Hausverwalter lobte den aufgeräumten Zustand der Wohnung, ich gab ihm alle zuständigen Schlüssel, nahm die 17 verbliebenen Sachen, sagte Tschüs und ging. Ein ganz kleines bisschen traurig. Aber dann begrüßten mich in Berlin die piepsenden Meisen. Ist doch schön: Ende, Anfang.
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