Da sitze ich, zwischen Stapeln alter Zeitschriften. Irgendetwas hat mich einst veranlasst, sie aufzubewahren. Bei manchen erkenne ich den Grund sofort. Bei vielen kein bisschen. Deshalb werden sie neu sortiert: Behalten (kleiner Stapel), wegwerfen (sehr großer, bereits umgekippter und sich über den Fußboden verteilender Ex-Stapel).
Ich übe mich gerade im Loslassen von Dingen. Wer vor so etwas Angst hat, dem kann ich mitteilen: Alte Zeitschriften eignen sich für den Einstieg hervorragend. Mein Verhältnis zu ihnen ist jedenfalls frei von hemmender Nostalgie, anders als etwa das zu alten Geburtstagskarten, die ich offenbar aufbewahre, seit ich 18 geworden bin. Aber schlau, diese Zeitschriften-Leute. Beim Aussortieren kullern mir uralte Schlagzeilen vor die Füße, die aussehen wie die Untertitel für mein Leben der vergangenen Monate. Sowas hier:
Es ist nicht originell, sich von der Frage angesprochen zu fühlen. Das weiß ich, aber es stört mich nicht. Ist doch schön zu wissen, dass andere Menschen sich mit denselben Überlegungen herumschlagen. Das verbindet. Den Artikel dazu lese ich aber jetzt nicht nochmal. Die Antworten gibt es nämlich en passant auf anderen Titelseiten. Wer nicht genau weiß, was zu ihm passt, oder wer sonst irgendetwas nicht weiß, kann folgendem Rat folgen:
Diese Schlagzeile muss mich unbewusst beeinflusst haben. Ich kann mich nicht daran erinnern, sie schon einmal gelesen zu haben, aber ich halte Spazierengehen für eine gute Wahl, wann immer irgendein Problem gelöst oder eine komplexe Frage beantwortet werden muss. Ich bin viel spazieren gegangen, bis ich wusste, was mein Thema des Monats wird. Unheimlicher Weise fand ich auch das nun beim Ausmisten wieder:
Gibt’s doch nicht! Dabei ist das Heft ungefähr 1000 Jahre alt. Man kann sie also liegen lassen, irgendwann kommt eine Lebensphase, zu der sie passen, die ewigen Themen. In diesem Fall: Abschied und Neuanfang. Oder auch: Echt mal ehrlich zu sich sein in der Frage, was man von seinem Zeug noch braucht und was längst unbemerkt zu Gerümpel geworden ist. Ich habe nun also nicht nur die meisten Zeitschriften weggeworfen, sondern auch zehn Jahre alte Kontoauszüge, noch ältere Vorlesungsverzeichnisse, kaputte Umhängetaschen, hässliche Kerzenhalter und abgelaufene Bahncards. Und ein paar antike Datenträger. Keinen Moment zu früh. Ich habe versucht, sie zu zerstören, obwohl vermutlich sowieso kein potenzieller Müll-Dieb der Welt noch irgendwo ein Disketten-Laufwerk bereitstehen hat.
Dem sich ausbreitenden Chaos in meiner Wohnung kann ich nur die Struktur gestapelter Umzugskartons entgegensetzen. Alles andere ist in Unordnung. Aber der Struktur-Stapel wird kleiner. Bald muss alles verpackt sein.
Finde noch eine interessante Titel-Geschichte. Also, den Titel. Die Geschichte will ich nicht lesen. Am Ende ist da die Antwort noch: Nein.
Säße ich in einer Titelseitenkonferenz mit den Leuten, die dies geschrieben haben, würde ich sagen: Von einem Berlin-Gefühl zu sprechen ist auf jeden Fall gut, aber die Behauptung, dass alle hin wollen, fordert den Widerspruch der vielen heraus, die keineswegs dorthin wollen. Und die Frage, ob man da glücklicher wird, ist irgendwie albern. Nur Menschen, die dort glücklicher werden, werden dort glücklicher. Die anderen nicht. Wie ein Freund von mir sagen würde: Wer’s mog, für den ist’s s’Hechste.
Ich mag’s. Das ist stark vereinfachend zusammen gefasst und bedeutet: Wenn ich meinen geschrumpften Hausstand wieder auspacke, bin ich dort. Und darauf freu ich mich schon sehr. Das letzte Mal, als ich in Berlin gewohnt habe, war Prenzlauer Berg noch ein so genannter Szenebezirk. Ich war sehr lange weg. In unserer kleinen Stadt. 100 Monde lang war dies hier meine Aussicht:
Ich habe fast keine Angst davor, diesen Blick zu vermissen. Denn ich hab ihn mir so ausführlich angesehen, dass ich das Bild abrufbereit in meinem Kopf habe. Und wenn man die Häuser weglässt, sieht es sowieso überall gleich aus. Bei Heim- oder Fernweh immer eine gute Idee: der Blick in den Himmel. Aber erstmal weiter packen. Es ist fast geschafft.
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