Alle nett. Fast.

Avatar von Frl. Grankvist

Nach drei Wochen in Berlin: der erste unfreundliche Berliner. In einem Café in der Kantstraße. Ich frage ihn, ob der Topfkuchen dort eventuell ein Zitronentopfkuchen sei. Er sagt, mit unbewegter Miene: Nein. Weiter nichts. Offenbar schon genervt.

Wir wählen also etwas ohne Zitrone. Ob er uns den Kuchen auf drei kleine Papptellerchen verteilen könnte, wir würden ihn gerne draußen auf dem Spielplatz essen. Er rollt genervt mit den Augen, erbarmt sich aber. Deshalb wagen wir uns weiter vor: ob er eventuell Plastikgabeln hätte. Natürlich hat er keine Plastikgabeln. Und auch kein Bedauern deswegen. Das macht 10,30 Euro. Her mit der Kohle, und jetzt raus hier. Nein, das sagt er nicht. Aber wir folgen auch dem unausgesprochenen Befehl.

Letztens im Zug, da hat ein betrunkener Mann zwei wehrlosen spanischen Touristen immer und immer wieder erzählt, dass die Berliner eben so seien, das sei nicht böse gemeint, sie sollten keine Angst vor ihnen haben. Da bekamen die Spanier Angst, ich hab es genau gesehen.

Die Leute erzählen sich vermutlich seit Jahrhunderten, dass die Berliner ziemlich ruppig sind. Und jaja, ich weiß, was damit gemeint ist. Aber seit ich hier bin, vielleicht liegt’s am Frühling, sind alle immer nur nett.

Die ältere Frau zum Beispiel, die vorm Spätkauf an der Danziger Straße aus einem Plastikbecher Kaffee trinkt: Brauchense nich abschließen, ick bin ja hier. Sie passt auf mein Fahrrad auf, während ich Feiertags-Not-H-Milch kaufe. Vermutlich würde sie einen potenziellen Dieb einfach mit ihrer rauchigen Stimme verfluchen, so dass der keine andere Wahl hätte, als die Flucht zu ergreifen.

Auch nett: die Leute im Edeka um die Ecke. Ein Träumchen, sagt die Kassiererin gut gelaunt, als ich ihr das Geld passend in die Hand zähle. Beim Stereoanlagen-Reparaturgeschäft in der Oderberger Straße erklärt mir die Chefin in liebevoller Ausführlichkeit die Modalitäten, die im Glücksfall zur Reparatur meines explodierten Verstärkers führen könnten.

Davon erhole ich mich im Café nebenan, wo mir einer der letzten Punks des Viertels sehr zuvorkommend Kaffee serviert und empfiehlt, den Kuchen dazu in der Bäckerei gegenüber zu kaufen. Und am Ende des Tages kümmert sich der bullige Wachmann im großen Supermarkt ungefragt darum, dass der Pfandautomat wieder einsatzbereit gemacht wird, damit ich meine Flaschen los werde. Das waren alles Berliner. Wenn ich meinen Ohren trauen darf.

Im übrigen ist es aber auch Wurscht, wo die freundlichen Leute herkommen. Die spanische Kellnerin im Muse in der Immanuelkirchstraße, deren Sätze ich eine Millisekunde nachhallen lassen muss, bevor ich sie verstehe: superfreundlich. Oder der Yoga-Lehrer, der vor 15 Jahren aus Holland nach Berlin gekommen ist: made my day. Und dann, unser Held: der Mann in dem kleinen Pizza-Laden in der Schlüterstraße, dessen Tonfall ich nicht zuordnen kann. Der schenkt uns sehr freundlich – aber klar, nehmen Sie, nehmen Sie – ein paar Plastikgabeln, für unseren Kuchen.

Ich sehe mir das jetzt ein paar Monate an. Wenn die Leute im November immer noch so nett sind, fahre ich zum Café in der Kantstraße und sage dem Mann, dass sich das mit der Ruppigkeit erledigt hat. Am Ende freut er sich noch, dass es endlich vorbei ist.

 


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