Jahreszeiten-Junkie

Avatar von Frl. Grankvist

Am Montag stand der Herbst noch in voller Blüte. Ich kam fast zu spät zur Arbeit, weil ich mich nicht losreißen konnte vom Blick auf den Wein an der Hauswand und auf die Grabsteine unten, die immer deutlicher zu erkennen sind, je mehr Blätter die Friedhofs-Bäume verlieren. Ein Fest der Vergänglichkeit, direkt vor meinem Fenster.

Nur fünf Tage, nachdem ich das Bild gemacht habe, ist die Hauswand fast kahl. Geblieben ist das dunkle Netz von Zweigen, an dem in ungefähr sechs Monaten ein grüner Schimmer zu sehen sein wird. Ganz neu, ganz von vorn. Als wäre es das erste Mal.

Ich werde, so lange ich lebe, ein Jahreszeiten-Junkie sein.

Na, dann warte erstmal den Berliner Winter ab: Das höre ich derzeit öfter. Aber es schreckt mich nicht. Ich kenne den Berliner Winter schon. Er ist kalt und fies, und in der U-Bahn setzten die Menschen ihre verkniffensten Gesichter auf. Sollen sie doch. Ein Winter pro Jahr ist verkraftbar. Und noch ist Zeit, Sonnenstrahlen zu sammeln.

Die letzten Blätter segeln Richtung Erde. Eins landet im vertrockneten Lavendel auf meinem Balkon.


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