Die Hütte in Marahau, von der Vermieterin stolz Chalet genannt, ist meine fünfte Unterkunft in fünf Tagen, und meine 14. insgesamt auf dieser Reise. Ich fange an, Gemeinsamkeiten festzustellen, die nichts darüber aussagen, ob ich gerne an einem Ort übernachtet habe oder nicht. Nehmen wir die Käfer. Dicke, laute, verzweifelt nach einem Ausgang suchende Käfer.
Zweimal bin ich nach dem Schlafengehen wieder aufgestanden, um ihnen zur Freiheit zu verhelfen: zuerst in meinem Dachzimmer in den Marlborough Sounds. Dort ist mir der Käfer leider in einen kleinen Rest Sauvignon Blanc gerutscht – ich weiß nicht, ob er nur betrunken oder gar tot war, als ich ihn unterm Sternenhimmel aus dem Glas ins Gebüsch fallen ließ. Der zweite brummte in meiner ersten Nacht hier am Abel Tasman Nationalpark und könnte vielleicht eine kleine Gehirnerschütterung erlitten haben, weil ich ihn mit einiger Vehemenz aus dem (leeren) Wasserglas auf den Campingplatzrasen geschleudert habe.
Zwei sehr ähnliche Käfererlebnisse, aber das Blockhäuschen in der Nydia Bay duftete nach Wald und stand an einem der schönsten Orte auf der ganzen Welt, während die Campingplatzhütte nach Putzmittel roch und in ihrer 80er-Jahre-Trostlosigkeit höchstens ironisch betrachtet etwas für sich hatte.
Dass Tiererlebnisse in Unterkünften nicht unbedingt eine hohe Aussagekraft haben, ahne ich seit den Kakerlaken in Bangkok. Die waren schlimm, aber die drei Tage in dem kleinen Hotel würde ich trotzdem auf keinen Fall missen wollen.
Auch an Nagern kann ich es nicht festmachen: Auf der Dachterrasse in Chiang Mai lief eine Ratte herum und in der Toilette des Bluemoon Backpackers in Havelock eine Maus. In Chiang Mai würde ich jederzeit trotzdem wieder einchecken. Obwohl die Matratze in Beton gegossen zu sein schien und die Fenster nur aus Plastiklamellen bestanden, was mir nachts das Gefühl gab, ich schliefe auf der Straße.
Und ich würde wieder hinfahren, obwohl die sanitären Anlagen noch im Aufbau begriffen waren. Manchmal fiel das Wasser aus. Und es gab keine Waschbecken. Zum Zähneputzen stand ich mit der Wasserflasche in der Hand an einer zu diesem Zweck durchbohrten alten Holzschublade am Geländer der Dachterrasse, in der Nähe des Rattenpfades. Das Zahnputzwasser floss nach unten ab, zwischen die Hausmauern. Die Alternative wäre das Klo gewesen, also das Keramik-Loch im Boden des kleinen Badezimmers. Nicht sehr komfortabel. Aber machbar.
Anders als das Gemeinschaftsbad im Bluemoon, in dem man nur entweder das Klo oder die Dusche abschließen konnte und also nie wusste, wer noch so in der Nähe war. In Chiang Mai war es nun einmal so, weil es ein altes Haus war und Ansaya nur bescheidene Mittel zur Renovierung zur Verfügung hatte – im Hostel in Havelock dagegen sah man an jeder Ecke, dass der Besitzer ein geiziger Mann sein muss, der mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel aus seinen Gästen herausholen wollte.
Was für ein Kontrast es war, nur zwei Nächte später bei Tom, Norma und Duncan zum Begrüßungskaffee gebeten zu werden. Sie kennen den Hostel-Mann. Er sagt ihnen immer mal wieder, sie müssten ihre Preise erhöhen, die Kayak-Benutzung extra bezahlen lassen und nicht so aufwendige Lunchpakete packen. Darüber lachen sie aber nur.
Leider kann mich nach den Tagen in der On the Track Lodge nichts mehr so schnell beeindrucken. Auch nicht mein kleines, sagenhafte 90 Euro teures Chalet, in das ich nach der Nacht auf dem Campingplatz umgezogen bin. Ich wollte endlich mal wieder ein Badezimmer für mich alleine haben. Und das war es auch wert. Außerdem, unerwartet luxuriös: Nachttischlampen! In mindestens der Hälfte meiner Unterkünfte fehlten die. Ist mir ein Rätsel, wenn Leuten der Vorteil von Nachttischlampen nicht einleuchtet. Also ein Riesenplus für das Chalet.
Der Sternenhimmel war hier auch ganz ok, und die Terrasse ist schön. Aber das sind rationale Zufriedenheitsgründe – manche Unterkünfte machen zusätzlich auch einfach glücklich. Zum Beispiel das Hotel über dem Pub im Havelock: alt, irgendwie verstaubt und mit Bad auf dem Gang. Trotzdem mochte ich es sehr.
Eine gute Schule, dieses Reisen (hört, hört). Ich bin viel damit beschäftigt, mich an neue Situationen anzupassen und herauszufinden, was ich mag und was nicht. Vieles davon wusste ich natürlich längst. Aber es macht mich wach und aufmerksam, es täglich neu zu merken. Wobei: Manchmal macht es auch müde und sogar genervt. Aber nur dann, wenn ich nicht richtig aufgepasst habe. Und plötzlich denke, ich müsste jetzt sofort mit dem Sparen anfangen.
Im Paradiso Hostel in Nelson etwa, wo ich vor drei Tagen nächtigte. Da war das Bad sogar nur ein paar Schritte von meinem Bett entfernt. Leider aber auch von den Betten meiner drei Zimmergenossen. Und es gibt ja wohl nichts Blöderes als ein Zimmer mit Bad, wenn man es mit drei fremden jungen Männern teilen muss, die sich nicht einmal ordentlich vorstellen, bevor sie sich vor einem ausziehen.
Diese Hostel steht auch aus anderen Gründen ganz oben auf meiner Liste der schlimmsten Übernachtungsmöglichkeiten. Es ist offenbar eine Party-Location. Ich hab nichts gegen fröhliche deutsche Jugendliche, aber wenn sie in großen Gruppen unterwegs sind, noch dazu so weit weg von ihren Bis-gerade-noch-Erziehungsberechtigten, können sie anstrengend sein.
Ich war um zehn im Bett und musste bis Mitternacht absurde Gespräche von einer Terrasse nebenan mit anhören. Man übte sich dort erfolgreich im Phrasendreschen – auf Englisch mit deutschem und holländischem Akzent. „Peoples are much more peacefuller when they smoke weed than when they drink alcohol. So why isn’t alcohol forbidden?“ „The World Trade Center was such a safe building – how is it possible only one plane that crushes in can destroy it?“ „I think it’s terrible, peoples sit together in the kitchen and everybody is just looking at their smartphones.“ Als die geistreiche Konversation endlich beendet war, fing der Typ im Bett über mir an zu schnarchen.
Die Liste der Kriterien, die mir bei meinen Unterkünften wichtig sind, ist nach diesen Erfahrungen denkbar kurz. Im Grunde hat sie bis auf das Offensichtliche – es sollte nicht reinregnen oder schimmeln – nur zwei Punkte: Ich möchte ein Zimmer für mich allein, mit freundlichen Menschen in der Nähe. Alles andere ist Verhandlungssache. Tiere kann man rausschmeißen, Lärm kann man in seine Träume integrieren und gemeinsame Badezimmer können in Ordnung sein. Wie in Wellington bei Mike. Oder sogar richtig schön. Wie in der Nydia Bay. Natürlich, wo sonst.
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